Körperstruktur / Körperfunktion (K/K)

In diesem Bereich der ICF geht es um den Körper selbst – wie er aufgebaut ist und wie gut er funktioniert.

Wenn hier etwas gestört ist, wirkt sich das direkt auf Bewegung, Selbstständigkeit und Lebensqualität aus.

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Unterscheidung

Körperstrukturen

„Körperstrukturen sind anatomische Teile des Körpers, wie Organe, Gliedmaßen und ihre Bestandteile“ (WHO, 2005, S.16).

 

▶️ Körperstrukturen sind z. B. Knochen, Muskeln, Gelenke, Organe.

Körperfunktionen

„Körperfunktionen sind die physiologischen Funktionen von Körpersystemen (einschließlich
psychologische Funktionen)“ (WHO, 2005, S.16).

▶️ Körperfunktionen sind z. B. Muskelkraft, Beweglichkeit, Gleichgewicht, Atmung, Sinnesfunktionen oder Denken.

Wie werden diese Bereiche in der ICF erfasst?

Erklärung der ICF-Codierung:

 

  • Körperfunktionen → ICF-Codes mit „b“ (z. B. b730 Muskelkraft)

  • Körperstrukturen → ICF-Codes mit „s“ (z. B. s750 untere Extremität)

 

Beispiele aus der Praxis:

 

  • Ein Patient hat eine mäßige Einschränkung der Muskelkraft im rechten Bein
    ICF-Code: b730.2

  • Nach einer Knieverletzung liegt eine Strukturveränderung am Gelenk vor
    ICF-Code: s750.5 (z. B. Diskontinuität oder Schwellung)

Von ICF-Codes zu Domänen ...

Die ICF bietet mit ihren Codes eine standardisierte Möglichkeit, Funktionen und Strukturen des Körpers zu benennen und zu bewerten. Doch im physiotherapeutischen Alltag braucht es noch mehr Struktur und Übersichtlichkeit – vor allem, wenn es darum geht, Befunde zu erheben, zu dokumentieren und verständlich weiterzugeben.

Dafür nutzen wir sogenannte Domänen.

Was ist eine Domäne – und warum ist sie wichtig?

Stell dir die ICF wie einen großen Schrank voller Schubladen vor.
Jede Schublade steht für einen bestimmten Themenbereich – das nennt man Domäne. Eine Domäne fasst zusammen, was funktionell oder strukturell zusammengehört – zum Beispiel Kraft, Beweglichkeit, Körperpflege oder Einkaufen.

Diese Einteilung macht die ICF praxisnah und alltagstauglich.

 

Du erkennst auf einen Blick:

  • Welche Schublade du öffnen solltest (also welche Domäne du untersuchen willst),

  • wie du darin befundest (z. B. per Test, Beobachtung oder Gespräch)

  • und wie du deine Ergebnisse systematisch dokumentierst.

 

Kurz gesagt:
Domänen sind dein Werkzeug, um aus der Theorie ein funktionierendes Befundsystem für die Praxis zu machen.

„Eine Domäne ist eine praktikable und sinnvolle Menge von miteinander im Zusammenhang stehenden physiologischen Funktionen, anatomischen Strukturen, Handlungen, Aufgaben oder Lebensbereichen.“ (ICF, 2005, S. 9)​

Domänen helfen dir, gezielt zu erkennen, was beim Patienten eingeschränkt oder intakt ist.
So kannst du strukturiert dokumentieren, vergleichen und passende Therapieziele ableiten.

 

Dadurch wird der Befund verständlich – auch für andere Berufsgruppen oder Kostenträger.


Warum werden hier nur ausgewählte ICF-Domänen dargestellt?

Die ICF umfasst eine große Anzahl an Domänen und Unterkategorien.

Auf dieser Webseite konzentriere ich mich bewusst auf die Domänen, die für die physiotherapeutische Praxis am wichtigsten sind.

Ziel ist es, einen übersichtlichen und praxisnahen Zugang zur ICF zu schaffen – ohne theoretische Überfrachtung.

Einige Bereiche wurden daher zusammengefasst oder ausgelassen, wenn sie für die physiotherapeutische Befunderhebung und Behandlung nicht unmittelbar relevant sind.

Körperstruktur / Körperfunktion (K/K)

Was ist das?
Die Haltung beschreibt die Position des Körpers im Raum – in Ruhe oder Bewegung. Ziel ist es, Haltungsabweichungen oder muskuläre Dysbalancen zu erkennen.

Was wird hier befundet?

  • Körperstatik (z. B. Kyphose, Skoliose)
  • Haltung in Stand, Sitz, Gang
  • Symmetrie, Lastverteilung

Wie wird hier befundet?

  • Visuelle Inspektion
  • Palpation
  • Fotodokumentation
  • Haltungstests (z. B. Beckenstand, Schulterhöhe)

Beispiele:

  • Skoliose mit Beckenschiefstand
  • Rundrücken mit Fass-Thorax
  • Asymmetrie nach Schlaganfall

Was ist das?
Hier werden lebenswichtige Körperfunktionen beurteilt – insbesondere Herz, Kreislauf und Atmung – auch in Belastungssituationen.

Was wird hier befundet?

  • Herzfrequenz (HF)

  • Blutdruck (RR)

  • Atemfrequenz (AF)

  • Sauerstoffsättigung (SpO₂)

  • Borg-Skala (subjektives Belastungsempfinden)

Wie wird hier befundet?

  • Pulsmessung (manuell oder mit Pulsoxymeter)

  • Blutdruckmessung (mit Blutdruckmessgerät)

  • Sauerstoff-Sättigungsmessung (Pulsoxymetrie)

  • Beobachtung von Atembewegung & Hautfarbe (bläulich?)

  • Standardisierte Belastungstests (z.B. 6 Meter-Gehtest)

Beispiele:

  • Belastungsdyspnoe bei COPD

  • Blutdruck-Abfall bei Lagewechsel

  • Geringe Belastungstoleranz nach COVID

Was ist das?
Hier werden äußere Körpermerkmale sowie Gewebe- und Bindegewebsverhältnisse beurteilt.

Was wird hier befundet?

  • Körperbau (pyknisch, athletisch, leptosom, Mischformen)
  • Körpergröße
  • Umfang (Muskelmasse, Ödeme, vorallem im Seitenvergleich!)

  • Hautbeschaffenheit (Trockenheit, Narben, Hämatome, Pflaster, Drainagen, etc.)

  • Asymmetrien, Fehlstellungen

Wie wird hier befundet?

  • Umfangmessung mit Maßband

  • Visuelle Inspektion

  • Palpation

  • Fotodokumentation

Beispiele:

  • Muskelatrophie nach Gips

  • Ödem an Unterschenkel

  • Narbe nach OP

Was ist das?
Die Beweglichkeit beschreibt das mögliche Bewegungsausmaß von Gelenken, die Dehnfähigkeit der Muskulatur sowie die Mobilität des Nervensystems

Was wird hier befundet?

  • Gelenkbeweglichkeit (z. B. Schulter, Hüfte, Wirbelsäule)

  • Bewegungsrichtung und -ausmaß

  • Endgefühl (weich, hart, leer)

  • Dehnfähigkeit von Muskelgruppen

  • Nervale Beweglichkeit

Wie wird hier befundet?

  • Goniometer – nach Neutral Null Messmethode

  • Funktionsprüfung aktiv/passiv

  • Translatorische Tests (z.B. Traktion)

  • Endgefühl-Testung

  • Dehntests (z. B. Thomas-Test)

  • Nervendehnungstests (z. B. Lasègue, Slump-Test, ULNT)

Beispiele:

  • Eingeschränkte HWS-Rotation nach Schleudertrauma

  • reduzierte Dorsalextension im OSG nach Supinationstrauma

  • Verminderte Hüftgelenksflexion bei Hüftgelenks-Athrose
  • Verkürzte ischiocrurale Muskulatur

  • Positiver Slump-Test bei Ausstrahlungen in die untere Extremität

Was ist das?
Der Muskeltonus beschreibt den Spannungszustand eines Muskels in Ruhe oder bei Aktivität.

Was wird hier befundet?

  • Tonus (normoton, hyperton, hypoton)

  • Seitendifferenzen

  • Spastik / Rigor / Hypotonie

Wie wird hier befundet?

  • Palpation

  • Bewegungsresistenz

  • visuelle Beobachtung

  • Tonusklassifikation (z. B. Ashworth-Skala)

Beispiele:

  • Spastik bei Zerebralparese

  • Hypotonie bei Down-Syndrom

  • Erhöhter Tonus der Nackenmuskulatur nach Schleudertraume

Was ist das?
Muskelkraft beschreibt die Fähigkeit eines Muskels, aktiv gegen Widerstand zu arbeiten.

Was wird hier befundet?

  • Muskelkraft einzelner Muskeln/-gruppen

  • Seitendifferenzen

  • globale vs. isolierte Kraftdefizite

Wie wird hier befundet?

  • Manuelle Muskeltests (MuFu-Testung)

  • Kraftskala nach Janda (0–5)

  • Funktionelle Krafttests (z. B. 5x Sit-to-Stand)

Beispiele:

  • Quadrizeps-Schwäche nach VKB-Ruptur

  • Handkraftminderung bei Karpaltunnelsyndrom

Was ist das?
Hier geht es um die Wahrnehmung von Reizen – bewusst oder unbewusst – über Haut, Gelenke und Nerven.

Was wird hier befundet?

  • Epikritische Sensibilität (Berührung, Vibration)

  • Protopathische Sensibilität (Schmerz, Temperatur)

  • Tiefensensibilität (Lage-/Bewegungsempfinden)

Wie wird hier befundet?

  • Spitz-Stumpf-Test

  • Thermisches Testen (warm / kalt)

  • Vibrationsprüfung (Stimmgabel)

  • Bewegungsempfinden (Mirroring)

Beispiele:

  • Taubheitsgefühl im Fuß bei Bandscheibenvorfall L5/S1

Was ist das?
Unwillkürliche Reaktionen des Nervensystems auf Reize, wichtig zur Beurteilung neurologischer Funktionen.

Was wird hier befundet?

  • Eigenreflexe (z. B. Patellarsehnenreflex)

  • Fremdreflexe (z. B. Bauchhautreflex, Lidschlussreflex)

  • Pathologische Reflexe (z. B. Babinski)

Wie wird hier befundet?

  • Reflexhammer

  • Beobachtung der Reaktion (intakt, abgeschwächt, gesteigert)

  • Seitenvergleich

Beispiele:

  • Ausfall des Achillessehnenreflexes bei Polyneuropathie

  • Babinski positiv nach Schädelhirntrauma

Was ist das?
Koordination beschreibt das Zusammenspiel mehrerer Muskeln bei gezielten Bewegungen und Gleichgewichtsreaktionen.

Was wird hier befundet?

  • Zielbewegungen (z.B. Finger-Nase, Knie-Hacke)

  • Diadochokinese

  • Inter- und intramuskuläre Koordination
  • Grob- und Feinkoordination
  • Gleichgewichtsstörungen

Wie wird hier befundet?

  • Koordinationstests (z. B. Barany-Zeige-Versuch, Finger-Nase, Knie-Hacke)

  • Gleichgewichtstestungen (z.B. Tandemstand, Einbeinstand)

  • Beobachtung bei Alltagstätigkeiten

Beispiele:

  • Dysmetrie bei zerebellärer Ataxie

  • Wackeliger Gang bei Gleichgewichtsstörung

Was ist das?
Erfasst werden geistige Fähigkeiten, emotionale Stabilität und Bereitschaft zur Therapie-Mitwirkung.

Was wird hier befundet?

  • Aufmerksamkeit

  • Merkfähigkeit

  • Stimmung, Antrieb

  • Orientierung

  • Kooperationsfähigkeit (Compliance)

Wie wird hier befundet?

  • Gespräch / Beobachtung

  • Mini-Mental-Status-Test (für Demenz)

  • Einschätzung durch das Team

Beispiele:

  • Orientierungslosigkeit bei Demenz

  • depressive Stimmung → geringere Therapiebeteiligung

Was ist das?
Hier geht es um die Wahrnehmung durch Sinnesorgane – Hören, Sehen, Gleichgewicht.

Was wird hier befundet?

  • Visuelle Wahrnehmung

  • Hörvermögen

  • Gleichgewichtsempfinden (vestibulär)

Wie wird hier befundet?

  • Gespräch / Anamnese

  • Seh-/Hörtests

  • Gleichgewichtsreaktionen beobachten

Beispiele:

  • Visuelle Einschränkung nach Schlaganfall

  • Schwindel bei vestibulärer Dysfunktion

Was ist das?
Funktionen rund um Mund, Gesicht, Sprache und Schlucken – wichtig für Ernährung, Kommunikation und Mimik.

Was wird hier befundet?

  • Kauen, Schlucken

  • Mimik

  • Sprachmotorik

  • Speichelfluss

Wie wird hier befundet?

  • Beobachtung beim Essen / Trinken / Sprechen

  • Palpation von Muskelgruppen

  • ggf. interdisziplinär mit Logopädie

Beispiele:

  • Schluckstörung nach Schlaganfall

  • Fazialisparese → herabhängender Mundwinkel

  • Wenig Mimik bei Depressionen