In diesem Bereich der ICF geht es darum, was ein Mensch tun kann – und wie gut er am Leben teilnehmen kann.
„Eine Aktivität bezeichnet die Durchführung einer Aufgabe oder Handlung (Aktion) durch einen Menschen“ (WHO, 2005, S.16).
Beispiele: Gehen, Sitzen, Anziehen, Essen, Schreiben
„Partizipation [Teilhabe] ist das Einbezogensein in eine Lebenssituation“ (WHO, 2005, S.16).
Beispiele: Arbeiten, Hobbys nachgehen, Freunde treffen, sich in der Familie einbringen
Erklärung der ICF-Codierung:
Aktivität & Partizipation → ICF-Codes mit „d“
z. B. d450 Gehen, d530 Toilettenbenutzung, d660 Unterstützende Beziehungen
Die ICF unterscheidet hier zusätzlich zwischen zwei Sichtweisen:
Leistung → Was tut die Person in ihrer aktuellen Umgebung?
Leistungsfähigkeit (Kapazität) → Was könnte die Person in einer idealen, standardisierten Umgebung leisten?
Beispiele aus der Praxis:
Eine Patientin kann im Alltag nur mit Unterstützung eine kurze Strecke gehen
→ ICF-Code: d450.3 (erheblich eingeschränktes Gehen)
Ein Patient meistert die Selbstversorgung (Waschen, Anziehen) mit kleinen Hilfen problemlos
→ ICF-Code: d510.1 (leichte Einschränkung bei der Körperpflege)
Die ICF-Codes geben dir einheitliche Begriffe für Aktivitäten und Teilhabe. Doch in der physiotherapeutischen Praxis brauchst du zusätzlich eine klare, alltagstaugliche Struktur, um Befunde gezielt zu erheben und verständlich zu dokumentieren.
Genau dafür gibt es Domänen: Sie machen die ICF praktisch anwendbar, helfen dir dabei, den Befund systematisch zu erfassen, sinnvolle Therapieziele abzuleiten und Fortschritte nachvollziehbar festzuhalten.
Stell dir die ICF wie einen großen Schrank voller Schubladen vor.
Jede Schublade steht für einen bestimmten Themenbereich – das nennt man Domäne. Eine Domäne fasst zusammen, was funktionell oder strukturell zusammengehört – zum Beispiel Kraft, Beweglichkeit, Körperpflege oder Einkaufen.
Diese Einteilung macht die ICF praxisnah und alltagstauglich.
Du erkennst auf einen Blick:
Welche Schublade du öffnen solltest (also welche Domäne du untersuchen willst),
wie du darin befundest (z. B. per Test, Beobachtung oder Gespräch)
und wie du deine Ergebnisse systematisch dokumentierst.
Kurz gesagt:
Domänen sind dein Werkzeug, um aus der Theorie ein funktionierendes Befundsystem für die Praxis zu machen.
„Eine Domäne ist eine praktikable und sinnvolle Menge von miteinander im Zusammenhang stehenden physiologischen Funktionen, anatomischen Strukturen, Handlungen, Aufgaben oder Lebensbereichen.“ (ICF, 2005, S. 9)
Domänen helfen dir, gezielt zu erkennen, was beim Patienten eingeschränkt oder intakt ist.
So kannst du strukturiert dokumentieren, vergleichen und passende Therapieziele ableiten.
Dadurch wird der Befund verständlich – auch für andere Berufsgruppen oder Kostenträger.
Die ICF umfasst eine große Anzahl an Domänen und Unterkategorien.
Auf dieser Webseite konzentriere ich mich bewusst auf die Domänen, die für die physiotherapeutische Praxis am wichtigsten sind.
Ziel ist es, einen übersichtlichen und praxisnahen Zugang zur ICF zu schaffen – ohne theoretische Überfrachtung.
Einige Bereiche wurden daher zusammengefasst oder ausgelassen, wenn sie für die physiotherapeutische Befunderhebung und Behandlung nicht unmittelbar relevant sind.
Was ist das?
Diese Domäne beschreibt die Fähigkeit, Körperhaltungen einzunehmen, zu wechseln oder über längere Zeit zu halten.
Was wird hier befundet?
Positionswechsel (z. B. vom Liegen zum Sitzen, Sitzen zum Stehen)
Haltung über Zeit aufrechterhalten (z. B. Sitz-/Standfähigkeit)
Gleichgewicht in verschiedenen Positionen
Wie wird hier befundet?
Beobachtung (z. B. bei Lagewechseln im Bett)
Tests wie: Trunk Control Test, Trunk Impairment Scale
Dokumentation von Zeit und Qualität der Positionswechsel
Beispiele:
Patient*in benötigt Hilfe beim Aufrichten vom Bett
kann nur 2 Minuten frei sitzen ohne abzustützen
Gleichgewichtsverlust beim Aufstehen vom Stuhl
Was ist das?
Fähigkeit, mit Gegenständen im Alltag umzugehen – vom Halten und Greifen bis zum Bewegen schwerer Objekte.
Was wird hier befundet?
Heben und Tragen (einseitig/beidseitig)
Feinmotorischer Umgang mit Gegenständen (z. B. Besteck)
Hand- und Armgebrauch
Wie wird hier befundet?
Action Research Arm Test (ARAT)
Box & Block Test
Beobachtung im Alltag
Beispiele:
Parkinson-Patient*in kann keine Tasse sicher greifen
Feinmotorik gestört nach Schlaganfall
Einkaufstasche kann nicht mehr getragen werden
Was ist das?
Fähigkeit, sich mit eigener Körperkraft im Raum zu bewegen – zu Fuß oder mit Hilfsmitteln.
Was wird hier befundet?
Gehen auf verschiedenen Untergründen
Richtungswechsel, Geschwindigkeit, Distanzen
Treppensteigen, Hürden überwinden
Wie wird hier befundet?
Standatisierte Testungen (z.B. 10-Meter-Gehtest, Timed Up & Go)
Ganganalyse (visuell oder mit Video)
Dynamic Gait Index
Beispiele:
Patient*in geht nur mit Rollator
Keine freie Gehstrecke >10 m möglich
Deutliche Unsicherheit beim Kurvengehen
Was ist das?
Fähigkeit, öffentliche oder private Verkehrsmittel zu nutzen, um an andere Orten zu gelangen.
Was wird hier befundet?
Ein- und Aussteigen (z. B. Bus, Auto)
Fahrtauglichkeit (z. B. Fahrrad, Auto)
Anpassung an verschiedene Umgebungen
Wie wird hier befundet?
Beobachtung im Alltag
standardisierte Situationen (z. B. Einstieg über Stufe)
Beispiele:
Einsteigen ins Auto nur mit Hilfe möglich
Patient*in meidet Busfahrten wegen Unsicherheit
Kein sicheres Fahren mit dem Fahrrad möglich
Was ist das?
Bezieht sich auf die Fähigkeit, Hilfsmittel im Alltag sinnvoll und sicher zu verwenden.
Was wird hier befundet?
Handhabung von Gehhilfen, Rollstuhl, orthopädischen Hilfsmitteln
Gebrauch von Alltagshilfen (z. B. Greifzangen, Haltegriffe)
Wie wird hier befundet?
Beobachtung bei Nutzung
praktische Anwendungssituationen
Einweisung und Sicherheitstests
Beispiele:
Patient*in benutzt Rollator nicht korrekt
kann Hilfsmittel selbstständig anpassen
Unsicherheit beim Umgang mit Prothese
Was ist das?
Fähigkeit, sich selbst zu waschen, anzuziehen, zu essen, zur Toilette zu gehen.
Was wird hier befundet?
Körperpflege
An-/Auskleiden
Nahrungsaufnahme, Trinken
Toilettengang
Wie wird hier befundet?
Barthel-Index, Frühreha-Barthel
direkte Beobachtung und Patientengespräch
Beispiele:
Patient*in benötigt Hilfe beim Anziehen von Schuhen
Kann nicht allein zur Toilette gehen
Isst nur mit Unterstützung
Was ist das?
Alltagsaktivitäten im Haushalt wie Einkaufen, Kochen oder Putzen – also praktische Selbstständigkeit.
Was wird hier befundet?
Zubereitung von Mahlzeiten
Haushaltsführung (z. B. Wäsche, Reinigung)
Umgang mit Haushaltsgeräten
Wie wird hier befundet?
FIM (Functional Independence Measure)
Beobachtung
Patientengespräch
Beispiele:
Patient*in kann Mahlzeit nicht selbst vorbereiten
Keine Kraft für Wäschewaschen
Gefahreneinschätzung bei Herdbedienung unzureichend
Was ist das?
Fähigkeit, sich sprachlich, schriftlich oder nonverbal mit anderen auszutauschen – als Sender oder Empfänger.
Was wird hier befundet?
Sprachverständnis
Sprachproduktion
Gebrauch von Hilfsmitteln zur Kommunikation
Nonverbale Kommunikation (z. B. Gestik)
Wie wird hier befundet?
Gesprächsführung
ggf. logopädische Tests
Beobachtung in Gruppen-/Einzelsituationen
Beispiele:
Patient*in kann sich verbal nicht klar ausdrücken bei Broca-Aphasie
Missverständnisse bei Anweisungen
Was ist das?
Fähigkeit, mit anderen Menschen in Kontakt zu treten, soziale Beziehungen aufzubauen und zu pflegen – im privaten wie auch im beruflichen Umfeld.
Was wird hier befundet?
Kontaktaufnahme und soziale Nähe/Distanz
Fähigkeit zur Zusammenarbeit oder Konfliktlösung
Einfühlungsvermögen, Rollenverständnis
Verhalten in Gruppensituationen
Wie wird hier befundet?
Beobachtung im therapeutischen Gespräch
Verhalten in Gruppenangeboten oder Partnerübungen
Gespräche mit Angehörigen oder Pflegeteam
Beispiele:
Patient*in vermeidet Blickkontakt und Gespräch in Gruppentherapie
Schwierigkeiten beim Einhalten sozialer Regeln oder Rollen
Was ist das?
Fähigkeit, sich zu bilden, einer Beschäftigung nachzugehen – ob in Schule, Beruf oder Freizeitgestaltung.
Was wird hier befundet?
Teilnahme an Arbeit, Schule, Therapie oder Freizeit
Umgang mit Aufgaben, Anforderungen und Zeitstrukturen
Motivation und Belastbarkeit
Selbstorganisation
Wie wird hier befundet?
Anamnesegespräch (z. B. beruflicher Hintergrund, Interessen)
Beobachtung im Alltag (z. B. Teilnahme an Angeboten)
Einschätzung durch Betreuer*innen oder Angehörige
Beispiele:
Patient*in kommt nie pünktlich oder verpasst regelmäßig Termine
Schwierigkeiten bei der Planung oder Umsetzung von Aufgaben
Was ist das?
Fähigkeit, Neues aufzunehmen, zu verstehen und anzuwenden – sowohl im therapeutischen Kontext als auch im Alltag.
Was wird hier befundet?
Merkfähigkeit und Konzentration
Verstehen und Umsetzen von Anweisungen
Problemlösefähigkeit
Anwendung von Gelerntem in neuen Situationen
Wie wird hier befundet?
Lernverhalten im Übungs- oder Therapiesetting
Reaktion auf neue Aufgaben oder Herausforderungen
Einschätzung durch Therapeut*in oder Betreuung
Beispiele:
Patient*in kann sich Trainingsabfolgen nicht merken
Probleme beim Umsetzen von mehrstufigen Anweisungen