Befund nach ICF für Physio­therapeut*­innen

Diese Seite soll erklären, wie die ICF in die physiotherapeutische Befunderhebung integriert werden kann.

ICF Logo

Wie wird die ICF im Befund angewendet?

Die ICF ist kein zusätzliches System, das man „on top“ nutzen muss – sie bildet vielmehr das Gerüst für eine strukturierte und ganzheitliche Befunderhebung.

 

Sie hilft dir, gezielt zu erfassen:

  • Was funktioniert gut?

  • Wo bestehen Einschränkungen?

  • Welche Umweltfaktoren beeinflussen die Situation positiv oder negativ?

 

Die ICF macht den Befund klarer, nachvollziehbarer und vergleichbar – und unterstützt dich dabei, deine klinischen Entscheidungen auf einer soliden Grundlage zu treffen.

Ablauf des physio­therapeut­ischen Befundes bis hin zur Behandlung

Anamnese

Die ICF hilft, medizinische Daten und persönliche Lebensumstände strukturiert zu erfassen.

Untersuchung nach Domänen

Strukturen, Funktionen, Aktivitäten und Teilhabe werden gezielt untersucht – klar gegliedert nach Domänen.

Beurteilung

Ressourcen und Defizite werden sichtbar gemacht – als Basis für die Zielsetzungen und die Therapie.

Zielsetzung

Therapieziele lassen sich individuell und nachvollziehbar aus der Beurteilung der Ressourcen und Defizite ableiten.

Behandlung

Aus den Ziel­setzungen werden Behandlungs­maßnahmen abgeleitet – angepasst an Alltag und Teilhabe.

Die Beurteilung in der ICF

Die ICF nutzt standardisierte Beurteilungsmerkmale (Qualifikatoren), um das Ausmaß eines Problems messbar zu machen – zum Beispiel bei eingeschränkter Gehfähigkeit, Muskelkraft oder Selbstversorgung. Diese Bewertung macht Einschränkungen vergleichbar, nachvollziehbar und dokumentierbar.

ICF-CodeBedeutungBeschreibungProzentbereich
xxx.0Kein Problemohne, kein, unerheblich0–4 %
xxx.1Leichtes Problemschwach, gering5–24 %
xxx.2Mäßiges Problemmittel, ziemlich25–49 %
xxx.3Erhebliches Problemhoch, äußerst50–95 %
xxx.4Voll ausgeprägtes Problemkomplett, total96–100 %
xxx.8Nicht spezifiziertInformation fehlt
xxx.9Nicht anwendbarz. B. nicht relevant

📌 Beispiel:
Ein Patient hat erhebliche Schwierigkeiten beim Treppensteigen (→ d4551.3)
(d4551 = Treppensteigen, .3 = erheblich eingeschränkt)

Für die Bewertung von Körperstrukturen (z. B. Gelenke, Muskeln, Organe) gibt es ein zusätzliches Beurteilungsmerkmal, das die Art oder Veränderung der betroffenen Struktur dokumentiert.

ICF-CodeBeschreibung der Veränderung
xxx.0Keine Veränderung
xxx.1Nicht vorhanden
xxx.2Teilweise nicht vorhanden
xxx.3Zusätzlicher Teil
xxx.4Von der üblichen Form abweichend (aberrant)
xxx.5Diskontinuität (z. B. Fraktur)
xxx.6Abweichende Lage (z. B. Gelenkfehlstellung)
xxx.7Qualitative Strukturveränderung (z. B. Flüssigkeitsansammlung)
xxx.8Nicht spezifiziert
xxx.9Nicht anwendbar

📌 Beispiel:
Ein Patient hat eine Schulterluxations720.6
(s720 = Schultergelenkregion, .6 = abweichende Lage)

Wenn sowohl das Ausmaß als auch die Art der strukturellen Veränderung dokumentiert werden sollen, wird das erste Beurteilungsmerkmal an erster Stelle genannt, das zweite optional danach.

 

Beispiel:
s750.3 + s750.5
→ Erhebliche Einschränkung (3) + Diskontinuität (5), z. B. bei einem Frakturgeschehen im Bein

Hinweise zur Dokumentation

Deine Befundergebnisse kannst du in verschiedenen Bereichen festhalten – je nach Arbeitsumfeld:

  • In digitalen Dokumentationssystemen (z. B. in der Praxissoftware)

  • In Papierbefunden oder strukturierten ICF-Befundbögen

  • In Ausbildungsunterlagen oder bei Fallbesprechungen

  • Im interdisziplinären Team – z. B. als Teil eines Reha- oder Therapieberichts

Die ICF folgt einem einheitlichen System, das du ganz einfach übernehmen kannst:

  • Nutze ICF-Codes mit Bewertungskennziffer
    z. B. b730.2 = mäßige Einschränkung der Muskelkraft
    → Die Zahl hinter dem Punkt gibt den Schweregrad an (0–4)

    Das ist nicht unbedingt notwendig. In der Praxis lässt man die ICF-Codes oft weg.
  • Formuliere beobachtbar und konkret
    Statt: „unsicheres Gehen“
    Besser: „Patient geht 10 m mit Rollator, Gleichgewicht gestört – d450.2“

  • Trenne Befund und Bewertung klar
    → Befund: „Kann rechten Arm nicht über Schulterhöhe heben“
    → Bewertung: „b710.3 – erhebliche Einschränkung Beweglichkeit“

Du dokumentierst alles, was für die Funktion, Aktivität oder Teilhabe, etc. relevant ist. 

Dokumentiere nicht nur Defizite, sondern auch Ressourcen, Fortschritte und Einflussfaktoren!

Beispielbefund – Schritt für Schritt

Um dir den physiotherapeutischen Befund zu erläutern, findest du auf den folgenden Seiten Anleitungen zu den einzelnen Schritten eines Befundes nach ICF.

Anhand eines konkreten Patientenbeispiels siehst du nicht nur, was gefragt werden sollte, sondern auch, wie typische Antworten in der Praxis aussehen können.

Wir befunden eine 75-jährige Patientin mit einer Oberschenkelhalsfraktur nach einem Sturz. Sie wurde operiert und ihr Hüftgelenk wurde durch eine Totalendoprothese ersetzt.

 

Klicke dich durch die nächsten Seiten, um zu erfahren, wie du Informationen gezielt sammelst, interpretierst und dokumentierst – vom ersten Eindruck bis zur Behandlungsplanung.

Was gehört zu einer vollständigen Anamnese?